Wirtschaftsförderung Frankfurt: Herr Šušak, das Thema Bildung und Fachkräfte begleitet sie nun schon seit Beginn Ihrer beruflichen Laufbahn. Erzählen Sie uns etwas davon!
Mario Šušak: Das stimmt. Meine berufliche Laufbahn begann mit einer Ausbildung zum Bürokaufmann in der Frankfurter Handwerkskammer. Dort war ich mit 21 Jahren eines der jüngsten Prüfungsausschussmitglieder in Deutschland und das jüngste in Führungsposition – ich habe mich also tatsächlich schon sehr früh für Bildung starkgemacht. Zudem war ich der erste Ausländer, der Vorsitzender eines HWK-Prüfungsausschusses in Deutschland wurde. Dabei habe ich immer versucht, bei allem mitzudenken, anstatt immer ja und amen zu sagen. Bis heute bin ich noch in mehreren Prüfungsausschüssen ehrenamtlich tätig.
Auch in Ihrer heutigen Position – als Geschäftsführer der KWVD e.V. – setzen Sie sich für dieses Thema ein.
2009 haben wir ein Bundesprojekt erhalten. Es ging darum, Betriebe aus dem ehemaligen Jugoslawien, die im Rhein-Main-Gebiet tätig sind, dazu zu motivieren, Ausbildungsplätze anzubieten. Mit diesem Projekt haben wir über 70 neue Ausbildungsplätze geschaffen. Der Großteil dieser Betriebe bildet auch heute noch aus.
Jedes Jahr holen wir außerdem über das Erasmus Plus Programm zwischen 150 und 350 Handwerks-Auszubildende aus Kroatien nach Frankfurt. Sie schlafen hier in der Jugendherberge, machen ihre Praktika in Frankfurt oder im Speckgürtel und im besten Falle lassen sie sich von Frankfurt überzeugen und möchten hierbleiben. Das machen wir nicht nur im handwerklichen Bereich, sondern auch in vielen weiteren Branchen – vom Automechaniker bis hin zum Zahntechniker. Wir schicken auch Auszubildende von hier nach Kroatien. Dort können die Frankfurter Betriebe auf sich aufmerksam machen. Viele geben ihren Auszubildenden zum Beispiel Flyer mit und punkten dann auch mit der Ausbildungsvergütung, die höher ist als in Kroatien.
Ließe sich so der Fachkräftemangel regeln?
Wenn ich einen Wunsch freihätte, würde ich gerne Frankfurt als Erasmus-Hauptstadt Europas etablieren. Wir bräuchten dafür zum Beispiel eine Jugendherberge, die nur dafür tätig ist. Doch meiner Meinung nach hätten wir auf diese Weise, langfristig gesehen, den Fachkräftemangel für unsere Region gelöst. Denn selbst wenn die Auszubildenden im Anschluss nicht hierbleiben wollen oder können, schaffen sie Vertrauen bei ihren Kollegen im Heimatland, die eventuell Interesse daran haben, hier zu leben und zu arbeiten. Wenn wir schon mit unserem kleinen Team 300 Personen jährlich herholen können, wie viele wären es dann, wenn wir das im großen Format angehen würden?
Sie setzen sich bei ihrer Tätigkeit im KWVD viel für den Standort Frankfurt ein.
Ja, denn Frankfurt ist nicht nur die Mitte Deutschlands oder Europas, sondern auch Dreh- und Angelpunkt für vieles. Zur Gründungszeit unseres Vereins war eher Stuttgart ein Hub für kroatische Firmen, weil diese alle im Werkvertragswesen verhaftet waren. In Stuttgart hatten sie die Nähe zur Bundesagentur für Arbeit und somit kurze Wege bei der Genehmigung der Werkverträge. Wir haben es dann geschafft, ganze 300 kroatische Unternehmen nach Frankfurt zu holen.
Für uns ist es natürlich auch von Interesse, wenn sich die Unternehmen hier in Frankfurt ansiedeln. Wir können sie schnell und unkompliziert besuchen – dann müssen wir nicht extra nach München oder Köln. Auch Gespräche mit anderen Kammern und Ämtern kann ich hier vor Ort schneller lösen und muss nicht erst in den Zug steigen. So geht Zeit verloren.
„Wenn ich einen Wunsch freihätte, würde ich gerne Frankfurt als Erasmus-Hauptstadt Europas etablieren. [...] [M]einer Meinung nach hätten wir auf diese Weise, langfristig gesehen, den Fachkräftemangel für unsere Region gelöst.“
Können Sie die kroatischen Unternehmen denn mit diesem Argument überzeugen?
Tatsächlich sitzen mittlerweile mehr als die Hälfte unserer Mitgliedsunternehmen in Frankfurt. In keiner anderen Stadt findet man ein so konzentriertes Netzwerk mit kroatischen Unternehmen auf einer so kleinen Fläche wie in Frankfurt. Andere Städte sind größer, da verteilt sich das mehr. In Frankfurt braucht man auch nicht so lange von A nach B.
Die kroatischen Unternehmen schätzen, dass am Frankfurter Flughafen jeden Tag viele Flieger nach Kroatien gehen, mit dem Zug kann man direkt dorthin fahren und auch mit dem Auto ist man recht schnell unterwegs – nicht nur nach Kroatien, sondern eben auch innerhalb Deutschlands. Und auch die Lebensqualität an sich stimmt, von den (europäischen) Schulen oder Privatschulen, der Work-Life-Balance bis hin zum Taunus vor der Tür: Das sind viele Sachen, die Frankfurt attraktiv machen.
Was bieten Sie den kroatischen Unternehmen, die sich an Sie wenden?
Wir wollen neben einem spannenden Netzwerk auch einen wirklichen Mehrwert für die Unternehmen bieten. Uns ist es zu verdanken, dass kroatische Staatsbürger bereits zwei Jahre nach dem EU-Beitritt ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten konnten. Wir waren das erste Land, das das geschafft hat. In anderen EU-Ländern hat das bis zu sieben Jahre gedauert.
Wenn jemand zu uns kommt und sagt, er möchte ein Unternehmen hier gründen, dann können wir ihn an die Hand nehmen und haben das Netzwerk, das ihn dabei unterstützt und begleitet. Und tatsächlich haben wir auch viele Unternehmen, die nichts mit dem deutsch-kroatischen Wirtschaftsraum zu tun, aber Interesse an unserem Netzwerk in Frankfurt haben, um Hemmnisse schnell aus dem Weg zu schaffen. Gerade dabei arbeiten wir mit der Wirtschaftsförderung Frankfurt zusammen.
Wie sieht denn die Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung aus?
Die Wirtschaftsförderung Frankfurt kann durch ihren kurzen Draht zu den verschiedenen Ämtern in der Stadt schnell helfen, Lösungen zu finden, wenn Unternehmen vor bestimmten Problemen stehen. Diese Synergien versuchen wir zu nutzen. Viele Unternehmen aus unserer Business Community wissen anfangs nicht, dass es die Wirtschaftsförderung gibt – wir machen sie darauf aufmerksam. Da hilft es natürlich auch, dass ihr vielfach bei unseren Veranstaltungen dabei seid und für Fragen jeglicher Art bereitsteht. Das weiß die Business Community sehr zu schätzen.
„Wir wollen neben einem spannenden Netzwerk auch einen wirklichen Mehrwert für die Unternehmen bieten. Uns ist es zu verdanken, dass kroatische Staatsbürger bereits zwei Jahre nach dem EU-Beitritt ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten konnten. Wir waren das erste Land, das das geschafft hat.“
Wo sollte sich Frankfurt – gerade in Bezug auf kroatische und weitere internationale Unternehmen – noch besser aufstellen?
Ich finde Kroatien ist hier noch ein wenig unerkannt. Es gibt viele kroatische Unicorns gerade im Bereich IT, in denen enormes Potential steckt. Da müsste Frankfurt sich stärker aufstellen, sonst laufen uns andere Städte wie Berlin den Rang ab. Wir müssen eben schauen, was können wir hier in Frankfurt bieten, womit werben. Hier ist nicht nur die Finanzbranche dank der EZB gut aufgehoben. Genau das müssen wir nach außen kommunizieren, und zwar nicht nur für zwei bis drei Sektoren, sondern auch für andere.
Und gerade in europäischen Ländern sollten wir mit unseren Standortvorteilen werben. Ich habe das Gefühl, dass Europa im internationalen Blick etwas in den Hintergrund gerät. Da haben wir noch Potential als Stadt mehr auf der Bildfläche zu erscheinen und nicht an unserer Strahlkraft zu verlieren. Die kroatische Business-Community ist sehr kreativ, sehr stark Es gibt kaum einen Sektor, in dem nicht irgendein kroatisches Unternehmen vertreten ist und daher können wir sehr viele Türen öffnen und Informationen bereitstellen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Šušak!